23. April 2009

Rundmail 4 - Gesundheit im System

''Das war knapp!'' sagte der Gastrochirurg nach der Operation zur Schwester.
''Was meinen Sie damit?'' fragte sie verwundert.
''Einen Zentimeter weiter - und ich wäre aus meinem Fachgebiet rausgewesen!''

++ Achtung, diesmal etwas textlastig ++

Liebe Leute,

Ostern ist vorbei, der "Arbeitsalltag" hat mich wieder und nach einigen recht motivierenden Erlebnissen letzte und diese Woche will ich mir wieder ein bisschen die Gedanken von der Seele schreiben, ein zwar nicht hinreichend aber wenigstens zur zeitlichen Überbrückung ausreichender Ersatz für echte Gespräche, vielleicht wie die vielen Briefwechsel vergangener Generationen.
Da viele Leser gerade völlig andere Dinge im Kopf haben, so sei dies als Rezension eines möglichen späteren Arbeitsplatzes zu sehen...

Denn die ersten Wochen waren ehrlich gesagt mehrheitlich irgendwie ernüchternd, hauptsächlich durch die Dank Unterschätzung des Norwegischen nahezu unüberbrückbare Sprachbarriere und die damit verbundene Verständnislosigkeit, die den anfangs motivierten Studenten direkt in den Status mindestens der ersten Famulatur zurückversetzt, wo man auch nichts verstanden hat, wenn auch damals aus anderen Gründen. Unterschiedliche Ursache, gleicher Effekt: man will mitdenken und endet als frustrierter Statist ohne Funktion.

Dazu kam eine neu zu entdeckende Einsamkeit, ist scheint eine weitaus härtere Umstellung, nach drei wunderschönen Wochen voller positiver Erlebnisse mit einem geliebten Menschen in einem fremden Land plötzlich wieder allein zu sein als direkt allein in dieses Land zu kommen. Obwohl immer noch viel Neues zu erleben gilt, werden die ersten Wochen durch eine nicht schwächer werden wollende Sehnsucht überlagert, die gleich einer Milchglasscheibe den Blick auf die Welt zu dämpfen vermag. Erst aus der Souveränität im Umgang mit der neuen räumlichen Distanz entwickelt sich langsam wieder ein normaler Alltag und zumindest dieser Anteil Frust beginnt sich zu legen.

Natürlich könnte man versuchen, diesen Frust zu kompensieren, indem man sich wenigstens um Patienten kümmert, aber halt: wie? Schon gleangt man zum zweiten Frustrationsfaktor: ist es einmal nach diverser Warterei/Schreibkram/
Besprechungen (s.u.) tatsächlich soweit, ich stehe vor einem Patienten und will ihn untersuchen - es heißt ja auch praktisches Jahr und diese Praxis war doch einer der Hauptgründe für dieses mords Studium - klappt das natürlich nur unter der für das Arzt-Patienten-Verhältnis nicht sehr zuträglichen Situation des kaum Kommunizieren könnens. Erneut endet man als frustrierter Zuseher oder unwürdiger verlängerter Arm des übersetzenden Arztes.

Die Patienten scheinen in der Klinik eher die Minderheit darzustellen. Aber fangen wir von vorne an. Ich muss zur liebreizenden Uhrzeit 7:30h dort sein, denn dann beginnt die Morgenbesprechung (viiiel Kaffee) mit allen ca. 15-21 Ärzten der Gastrochirurgie (eine Station!). Dort werden sehr ausführlich die Aufnahmen der letzten Nacht bzw. des Wochenendes besprochen und wahrscheinlich ein bisschen über Gott und die Welt diskutiert, es dauert jedenfalls mindestens 30-45min, leider meistens ohne CT- oder Röntgenbildern, wahrscheinlich gibt's dafür irgendwo eine geheime Extra-Sitzung.
Um 8:30 beginnt die Prä-Visite -- viiiiel Kaffee -- in der nacheinander die drei Visitengruppen abgearbeitet werden, kreativ nach rot-grün-blau benannt (Grüße an alle Informatiker). Diese Gruppen bestehen jeweils aus 1 Oberarzt, 2 Assistenzärzten, 1-2 Turnusärzten (~AiP), 1-2 Studenten, 1 Oberschwester, 3-6 Schwestern macht ca. 6-10 Weißkittel, die sich um entspannte 10-15 Patienten kümmern dürfen.
Die operierenden Ärzte, also alle Oberärzte, setzen sich spätestens hier in den OP ab.
Um 9:30 wird die Prä-Visite in unterschiedlichen Zimmern fortgesetzt (viiiel Kaffee). Um 10:00 geht man über die Zimmer, redet ein bisschen über Gott und die Welt, ab und zu wird auf einen Bauch/eine Wunde/einen Katheter geschaut, dann is schon 11:00. Also Zeit für Mittagspause.

Die Cafeteria ist sehr schön, Blick über die Fjorde usw. aber auch mächtig teuer. Das günstigste ist ein einzelnes Wienerle, wiener pølse (1,7 €, mit Brot 2,30€), viele belegte Brötchen (um 4,50€), Salat nach Gewicht (100g ca. 2,30€) und warme Hauptmalzeit auch nach Gewicht (100g ca. 1,90€, was bei einem kleinen Stück Fleisch plus Gemüse auf 5€ hochkommt). Der Norweger kennt das, und schlau wie er ist, erlaubt er sich erneut einen workaround und bringt meistens sein Essen selbst mit, die matpakke.

Gegen 12h ist man dann wieder auf Station und hat sich gemeinsam mit den 2-3 Turnusärzten (AiPs) und Medizinstudis um die ca. 1-4 geplanten Aufnahmen zu kümmern. Dabei ist das größte Problem, einen freien Raum zu kriegen, weswegen man schon mal 1-2 Stunden im Arztzimmer sitzt, bis "ein Raum frei wird".
Die Untersuchung selbst ist für den Innere-Medizin-Verwöhnten sagen wir mal "übersichtlich" und inklusive ausführlicher Anamnese in 10min erledigt. Ja, und dann is Schluss. Dann geht's durch den Schneesturm nach Hause zum Arbeiten, Lernen, Lesen, Filme schauen, Schnee beobachten...

Das klingt jetzt etwas gefrustet, ist es wahrscheinlich auch, vor allem nachdem die letzten drei Erlebnisse (Zürich, Kinderklinik Erlangen und Nephrologie Nürnberg) ausnahmslos positiv belegt waren. Inzwischen versuche ich die Zeit nach anfänglicher Blockade so sinnvoll wie möglich zu nutzen, d.h. in freien Momenten, von denen es bisher recht viele gibt, Krankheitsbilder durchzuarbeiten oder in meinem Chirurgiebuch zu lesen etc. Wenigstens fühle ich mich in meiner Wahl eines nicht-chirurgischen Faches bestätigt.

Ich gehe auch davon aus, dass es besser wird, wenn ich durch Überwindung der Sprachbarriere auch einmal selbständig zu lösende Aufgaben bekomme. Diese nicht oder zumindest bedingt selbstverschuldete Unmündigkeit ist echt nervig.

Jetzt hätte ich am Ende fast das motivierende Erlebnis vergessen, dass mich zum schreiben dieser nun überwiegend frustlastigen Mail bewegt hat. Damit also kein falscher Eindruck entsteht, schließe ich mit einem der doch auch vorhandenen positiven Momente:

letzte Woche waren ich mit einer Turnusärztin bei einer Aufnahme dabei, ungefähr die Dritte überhaupt hier in Tromsö. Ich konnte den netten älteren (82y) Herrn untersuchen und beim anschließenden Anamnese-Gespräch habe ich zwar nicht viel verstanden und konnte vor allem noch viel weniger zum Gespräch beitragen, konnte aber plötzlich trotzdem spüren, wie in mir dieses deutliche empathische Teilhaben-Gefühl auftauchte, dieser schwer zu beschreibende Moment des intensiven sich auf den Gegenüber einstellen, seine Ängste, seine Sorgen und seine Hoffnungen mit zu spüren und irgendwie bei ihm zu sein. Schlicht genau dieses Gefühl, dass den Sinn des Arzt seins immer wieder neu spüren lässt.

Morgen gehe ich endlich mal in den OP mit, mal schauen was da so los ist...

Die Freizeitaktivitäten haben sich in den letzten zwei Wochen auch deutlich gewandelt: vorher war noch Wandern durch wunderschöne Schneelandschaften und Grillen bei Klaus am Fjord angesagt , dann konnte ich eine komplette Woche voller Schneestürme erleben, vor allem bei dem morgentlichen Weg zum Bus ein richtiger Motivator und von den Norwegern beindruckend unbeeindruckt hingenommen, und seit 3 Tagen sind wir hier voll im April-Wetter mit zehn-minütlichen Wechseln zwischen Sonenschein (kurz) und Nebel/Regen/Schneeregen (leider lang). Wenn man die Sonne jedoch sieht, bleibt sie immer länger...

Der Rest ist skype...

Liebe Grüße,

Philipp

PS: An alle Geplagten weiterhin gutes Durchhalten, nicht mehr lang, dann ist's geschafft!

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